Sonntag, 12. Juli 2015

Tradition ist die Bewahrung des Feuers

1995 kam der Soziologe und Journalist aus Kamerun auf Einladung des katholischen Publizistenverbands zu einem internationalen Kongress nach Graz. Dort sollte er über die Situation von Journalist*innen in seinem Herkunftsland berichten. 20 Jahre später sitze ich im Wiener Büro von simon INOU und spreche mit dem erfolgreichen Aktivisten gegen Rassismus in Österreich über Meinungsfreiheit, das 10-jährige Jubiläum von M-Media und die politische Dimension seiner Arbeit.

Políticas: Herr INOU, im Jahr 1995 haben Sie als kamerunischer Journalist bei einer Grazer Tagung des katholischen Publizistenverbandes über Medien in ihrem Herkunftsland berichtet. Wie war die Situation für Journalist*innen in Kamerun?

INOU: Extrem schwierig, ich habe damals beim „Le Messager“ gearbeitet, der allerersten unabhängigen Zeitung des Landes. Wir sind kritisch gegenüber der Regierung aufgetreten, waren jahrelang von Zensur betroffen und polizeilicher Brutalität ausgesetzt. Mit anderen jungen Redakteur*innen gründete ich später eine weitere Zeitung, weil wir mit der Abhängigkeit von französischen Medien brechen wollten. Die entfremdete Jugend war sehr stark an der ehemaligen Kolonialmacht orientiert. Wir waren es gewohnt, immer nur Inhalte aus Paris zu lesen – was dazu führte, dass wir uns unserer eigenen Realität nicht ausreichend bewusst waren. Um aber die eigene Realität zu ändern, muss sie erst einmal sichtbar werden. Deshalb gründeten wir „Le Messager des Jeunes“. Für die involvierten Journalist*innen bedeutete das wiederum ständige Bedrohung durch die Exekutive. Selten fand eine Redaktionssitzung an unserem Hauptsitz statt, aus Sicherheitsgründen trafen wir uns immer woanders. Eines Tages hatten wir dann auch die Zensur satt. Es musste ja jeder Text vor der Publikation den Beamten zur Durchsicht vorgelegt werden. Wenn wir mit einem Text von 3000 Zeichen in deren Büro gingen, kamen wir mit 500 Zeichen wieder raus. Also entschlossen wir uns, dieses Diktat zu boykottieren. Daraufhin begann das Militär Druck auf uns auszuüben. Ausgaben unserer Zeitung wurden von Polizisten beschlagnahmt. Die Meinungsfreiheit wurde also extrem beschnitten.

Wie steht es um die Meinungsfreiheit in Österreich?

Es ist ähnlich – mit der Einschränkung, dass es in Österreich nicht so brutal zugeht. Hier geschieht das unterschwelliger. Wenn du bestimmte Dinge ansprichst, bestrafen dich die Menschen mit Empörung oder totalem Schweigen. Oder aber du wirst direkt angegriffen. Auch das Einsetzen von „Political Correctness“ als gezielter Vorwurf ist so ein Mittel, um dich mundtot zu machen. Für mich ist das eine viel gefährlichere Form der Zensur! Sie ist nicht „offiziell“, also kaum sichtbar und damit schwer zu bekämpfen. Meinungsfreiheit ist aber ein Grundpfeiler von Demokratie. Dennoch gibt es unzählige Tabus, was ich für sehr problematisch halte. Tabus sind ein schwerwiegender Faktor, sie schwächen die in Österreich ohnehin schon schwache kritische Masse. Gustav Mahler sagte einst „Tradition ist die Bewahrung des Feuers, nicht die Anbetung der Asche“: Es gibt Vieles in Österreich, das wir nicht mehr akzeptieren dürften. Man muss ganz klar durchgreifen, wenn es beispielsweise zu Rassismus kommt. Das passiert aber, wenn überhaupt, nur sehr sehr oberflächlich.

Woran erkennen Sie die Grenzen der österreichischen Meinungsfreiheit? Welche Themen sind zum Beispiel tabu in Österreich?

Fangen wir einfach mal mit der Geschichte unseres Landes an, mit dem Nationalsozialismus. Kaum jemand spricht offen darüber und falls doch, dann meist aus einer Opferhaltung heraus. Die persönliche Verantwortung, zum Beispiel innerhalb der eigenen Familie, wird meist unter den Teppich gekehrt. Viele begnügen sich damit, „nichts“ gewusst zu haben. Meinungsfreiheit herrscht diesbezüglich also nicht einmal in der Familie. Gerade auch hier ist es aber sehr wichtig, die Karten auf den Tisch zu legen. Das ist bedenklich: Warum haben wir es seit 1945 nicht geschafft, das zu verarbeiten? Es sollte Nationalkonferenzen dazu geben, die hinterfragen, warum das damals geschehen konnte und wie wir mit Bestimmtheit vermeiden können, dass so etwas je wieder passiert. Ein anderes Thema ist der Rassismus. Man vermeidet sogar das Wort selbst, zieht den Begriff „Diskriminierung“ vor und bringt damit Unklarheit ins Spiel. Was mir die letzten Jahre bei der SPÖ aufgefallen ist, ein anderes Beispiel: Das Wort „Kampf“ ist verschwunden. Ein Schlüsselwort der Linken ist einfach verschwunden! Viele Politiker*innen scheinen sich von ihrer eigenen Haltung verabschiedet zu haben, was ich gesellschaftspolitisch alarmierend finde.

Die Sprache die wir verwenden, ist also auch Gradmesser einer Gesellschaft? Inwiefern?

Natürlich! Sprache macht sichtbar. Sprache schafft deshalb immer Realität. Bleiben wir bei der Sozialdemokratie, die eigentlich eine ganz klare Ideologie hat: Wir müssen uns für die Schwächsten der Gesellschaft einsetzen. Die Sozialdemokratie hat traditionell für die Unterdrückten gekämpft. Seit dem Fall der Berliner Mauer haben sie sich aber verändert und bewegen sich stark in eine neoliberale Richtung, die vielen Menschen in unserer Gesellschaft extrem schadet. Sie sind nicht mehr da für die Menschen, die sie brauchen. Den linken Diskurs führen heute eher die Rechten! Das muss man sich mal vorstellen, die Rechten gelten heute als die „soziale Heimatpartei“ … Und die sogenannten Sozialdemokrat*innen, die heute an den Hebeln der Macht sitzen, sind mitverantwortlich dafür, dass wir nun einen Aufschwung der Rechten erleben. Und das liegt eben auch an der abgeschwächten Sprache. Es gibt keinen „Kampf“ mehr für eine klassenlose Gesellschaft, sondern weit und breit nur Anpassung an die Wirtschaft, ohne Rücksicht auf die Menschen, die darunter leiden.

2015 gibt es aber auch Grund zur Freude: M-Media feiert sein 10jähriges Bestehen, Glückwunsch! Warum gibt es M-Media?

Dankeschön! Also erstens ist M-Media im Jahr 2005 entstanden, weil ich bemerkt habe, dass zwar dauernd über die großen Medien gesprochen wird, aber niemand auf diejenigen blickt, die für die eigene Community was schreiben. Ich wollte aufzeigen, dass es nicht nur den Standard und andere Massenmedien gibt, die bestimmte Bevölkerungsschichten gar nicht erst erreichen. Wir können nicht von „Integration“ reden, wenn wir so viele Medien außer Acht lassen! Zweitens war es wichtig, von der Fremddarstellung zur Selbstdarstellung zu kommen: Wie erscheinen Migrant*innen in den Medien? Es sollte nicht länger bloß über Migrant*innen geschrieben werden, sondern Journalist*innen mit Mirgationserfahrung mussten in die Mainstream-Medien rein, um über sich selbst schreiben zu können. Drittens, sollten die sogenannten Migrant*innen-Medien, was wir heute interkulturelle Medien nennen, gestärkt werden. Ein anderes Ziel war daher aufzuzeigen, dass auch sie eine Rolle in dieser Gesellschaft spielen. Dabei ist es völlig egal, in welcher Sprache diese Medien schreiben. Wir sind in Europa, einem Kontinent mit über 20 Amtssprachen und fast 150 sogenannter Minderheitensprachen! Jede Sprache ist wichtig, genauso wichtig wie Deutsch oder Englisch. Und genau so sind auch die Perspektiven wichtig, die thematisiert werden. Auch hier sollte es mehr Ausgleich geben. Hierarchien in der Sprache übertragen sich nämlich als Hierarchien in die Gesellschaft. Unsere Anstrengungen haben schließlich dazu geführt, dass wir viele Mainstream-Medien dazu motiviert haben, sich mit Migrant*innen und ihrer medialen Darstellung, mit Integration und mit Österreich vertieft zu beschäftigen.

Hat es viel Kritik oder Gegenwind gegeben?

Natürlich, das gab und gibt es immer. Weil viele Leute nicht verstanden haben, warum Migrant*innen über sich selbst schreiben sollten. Schreiben wir nicht genug über diese Menschen? Diese Berichterstattung war jedoch defizitär. Mit der Black Austria-Kampagne wollten wir deswegen aufzeigen, dass Schwarze im österreichischen Mediendiskurs fast ausschließlich als Opfer oder Täter vorkamen, 98% der Schwarzen Österreicher*innen waren in der Berichterstattung also nicht vorhanden. Aber ich habe auch schon vor dem Jahr 2005 Medienkritik geübt. Es gab teils heftige Auseinandersetzungen mit dem Standard und auch mit dem Kurier, wo ich fast als Drogendealer hingestellt wurde. Das war hart, aber ich bin es gewöhnt zu kämpfen. Die höchste Eskalationsstufe fand 2009 statt, in Bezug auf meine Kritik und die Gegenkampagne zur Süßspeisenbezeichnung „M* im Hemd“. Ich war mit Morddrohungen konfrontiert, die wir letztendlich bei der Polizei melden mussten. Die Gefahr war also sehr spürbar. Apropos Meinungsfreiheit…

Hat sich der Anteil der Migrant*innen in den Mainstream-Medien seit 2005 verändert?

Die Medienlandschaft hat sich im Allgemeinen radikal verändert. Es gibt viele Österreicher*innen der 2. und 3. Generation, die wir unterstützt haben. Die Aufmerksamkeit ist gestiegen, auch die Sensibilität. Die Diskussion einer Migrant*innen-Quote in den Medien gibt es auch, ähnlich wie bei den Frauen. Nur durch solche Quoten können wir erreichen, dass ausreichend Migrant*innen in die Redaktionen kommen. In Österreich leben 17% Migrant*innen, daher brauchen wir auch 17% von ihnen in den Medien. In den Redaktionen sind sie derweil noch sichtlich unterrepräsentiert. Vor zehn Jahren gab es in den Qualitätsmedien gar keine Journalist*innen mit Migrationsgeschichte, jetzt aber haben wir zumindest ein paar.

Haben Sie auch andere Vorschläge, um die Situation der österreichischen Medien zu verbessern?

Die Medienhäuser brauchen Integrationsbeauftragte. In anderen europäischen Ländern existiert so eine Funktion bereits und das ist wichtig. Diese Person achtet einerseits auf die Einstellungspolitik und andererseits darauf, wie und wie viel über Migration und Integration geschrieben wird. Sie ist auch zuständig, diskriminierende und rassistische Inhalte zu korrigieren.

Sie sagen, die kritische Masse in Österreich sei sehr schwach. Wie tritt M-Media dem entgegen?

Wir sind nicht objektiv und geben das auch zu. Objektivität existiert nicht! Die Lüge von der Objektivität der Berichterstattung muss endlich ein Ende haben. Die Haltung muss immer klar sein. Unsere ist, dass wir Rassismus in der Gesellschaft medial bekämpfen. Wir sind positioniert, und zwar gegen Rechts, gegen Ungerechtigkeit und gegen Haltungen, die Menschen Schaden zufügen. Wir müssen als Gesellschaft auch lernen, dass eine Positionierung innerhalb der Gesellschaft nicht bedeutet, dass man nicht selbstkritisch ist. Das trifft nicht zu! Durch M-Media wollen wir eben den Diskurs öffnen, damit alle daran partizipieren können. Andernfalls sind viele Menschen ausgeschlossen. Wir wollen Ideen für und Perspektiven auf ein gerechtes Miteinander entwickeln, um einerseits Wissenslücken zu füllen und andererseits die Hetze zu bekämpfen. Man muss sich innerhalb einer Gesellschaft bewusst positionieren, damit kritische Stimmen hörbar werden und somit eine kritische Masse entsteht. Ansonsten können wir gegen das stattfindende Unrecht von vornherein keinen Kampf führen.

Sie sind einst selbst als politisch Verfolgter nach Wien gekommen. Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zur aktuellen Flüchtlings-Debatte?

Ich konnte damals in Österreich nur Fuß fassen, weil sich so viele für mich eingesetzt haben. Es war eine unglaublich belastende Zeit, ich konnte kaum schlafen und hatte jeden Tag Angst: Was würde mit mir passieren, wenn mein Asylverfahren negativ ausfällt? Für mich ist ganz klar, dass wir die Türen für Asylwerber*innen öffnen müssen. Das schaffen wir mit Sicherheit! Und wie oft vergessen wir in dieser Debatte, dass sehr viele Österreicher*innen im 2. Weltkrieg selbst Österreich verlassen haben? Wir vergessen zudem, dass die Menschen vor allem auch wegen der US- und der EU-Politik zu uns kommen. Wir müssen eingestehen, dass die durch uns legitimierte Politik viel dazu beiträgt, dass wir Flüchtlinge haben. Es gibt eine Gesamtverantwortung, der wir uns nicht entziehen können. Flüchtlinge oder Asylwerber*innen haben fundamentale Rechte, die geschützt werden müssen. Das ist Teil unserer Verfassung. Österreich ist eigentlich eine solidarische Gesellschaft, es wird jedoch ganz viel Angst verbreitet. Und das, obwohl es sehr wohl möglich ist, Menschen in Not aufzunehmen. Was dabei verloren geht, wenn wir uns weigern, wissen wir gar nicht! Einer dieser Menschen könnte morgen Nobelpreisträger*in sein. Alle diese Menschen können viel Wertvolles zu unserer Gesellschaft beitragen. Viele Migrant*innen, die arbeiten dürfen, kurbeln ja auch jetzt schon die Wirtschaft an. Es gibt einfach nichts, was dagegen spricht, Flüchtlinge aufzunehmen. Rein gar nichts [...]

Quelle: via @Politicas.at, July 12, 2015 at 11:52AM

Feed abonnieren – Autoren Michael, Hoelderlin, Anita, Ralph ...